Jochen Dehn "Fünf oder sechs einfache Sachen und Schule für Unsichtbarkeit"
Vom 08. Februar bis zum 13. April zeigen wir „Fünf oder sechs einfache Sachen und Schule für Unsichtbarkeit“, die erste Einzelausstellung von Jochen Dehn in Deutschland.
Der Künstler bietet in der Galerie Aanant & Zoo wöchentliche Übungen in Ambiguität und Diffusion an und zeigt Möglichkeiten, sich aufzulösen, ohne zu verschwinden. Die Performances sind Versuchsaufbauten zur Verringerung der Distanz zwischen Betrachter und Betrachtetem.
Jochen Dehns Kunstwerke entstehen, indem er seine künstlerische Praxis in Bestehendes einschreibt. Er benutzt, was er vor Ort findet, oft Gegenstände, die man eher übersieht oder er bringt Requisiten mit, die dann Gegenstand für multiple Transformationen werden.
Jochen Dehn: „Ich glaube, wenn wir über Kunstwerke schreiben, wäre das besser unter dem Titel: Zeug, Kunst, Werkzeuge. Der Status, den Objekte bei mir haben, ist ziemlich variabel. Zwei Straußeneier können zu einem großen Omelett verarbeitet werden, sie können so lange getrocknet werden, bis sie leer sind, wenn man das Glück hat, dass sie nicht vorher anfangen zu stinken oder sie können als Veranschaulichung dienen, um den Unterschied zwischen Figuration und Abstraktion zu zeigen.“
Ein Baum, eine Herdplatte, eine Bohrmaschine oder Rasierschaum – alles wird benutzt, um den Hokuspokus heraufzubeschwören. Was wir sehen, verwandelt sich, oder etwas, das vorher nicht zu sehen war, erscheint vor unseren Augen. Ein Wissenschaftler, der ein Phänomen durch ein Mikroskop betrachtet, hat, äußerlich betrachtet, ähnliche Vorgehensweisen und Erkenntnisse. Im Gegensatz zu Wissenschaftlern benutzt Jochen Dehn keine hochwertigen, speziell für nur einen Zweck entwickelten Werkzeuge, sondern untersucht Gegenstände aus unserer Umgebung, ihre vorgesehenen Nutzungen und modifiziert diese.
Um ihr erzählerisches Potential zu erhöhen, benutzt er Techniken, die Kollision, Scheitern oder Missverstehen beinhalten. Er malträtiert oder glorifiziert Objekte, Menschen, Zusammenhänge. Jochen Dehn verhöhnt unsere alltäglichen Wahrnehmungen und probiert Möglichkeiten, das Verhältnis unserer Körper mit ihrer Umgebung zu ändern. Das sind keine Lösungsvorschläge, es geht vielmehr darum, den Bereich des Nicht-Auflösbaren und des Nicht-Festgelegten zu vergrößern.
Jochen Dehn: „Ich erzähle Geschichten, ich mache Performances und zeige Experimente. Die Dinge und Inhalte, die ich bei meinen Auftritten benutze, haben oft ähnliche Eigenschaften wie ein conversation piece 1, oder ich verleihe ihnen diesen Status im Laufe einer Performance. Ich mag Hindernisse. Sie verursachen Zusammenstöße, Stürze, Scheitern, Positionsveränderungen oder Anhalten und und führen so zu Momenten, in denen ein Ort, eine Geste, eine Form oder eine Idee fühlbar und zu einer erlebten Wirklichkeit werden.“
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1 In den achtziger und neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts verbreitete sich eine Innenausstattungsmode in Haushalten in Nordamerika. Die Bewohner stellten ein Ding in den Flur ihres Hauses, oder in den ersten Raum, den ein Besucher betreten würde. Wert und Schönheit dieses Dinges waren nicht die wichtigsten Kriterien für seine Auswahl, es sollte vor allem wie fehl am Platz wirken, den ersten Eindruck stören, oder hässlich, vielleicht geschmacklos sein. Visuelle Hindernisse, die ein Stocken und im Anschluss daran eine Unterhaltung auslösten. Im besten Fall wurden sie zum Grund und zum Inhalt einer Unterhaltung, die sowohl dem Besucher als auch dem Gastgeber die Zeit und Möglichkeit bot, zu überlegen, ob man weiter ins Innere des Hauses gehen wollte oder ob man besser wieder hinausginge. Diese Dinge hiessen conversation pieces.
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From the 8th of February to the 13th of April we present „Five easy pieces and school for invisiblity“, Jochen Dehn‘s first solo-show in Germany.
The artist proposes weekly training courses in Aanant & Zoo´s gallery spaces about ambiguity and diffusion and shows possibilities to dissolve without disappearing. His performances are experimental set-ups aiming at the reduction of the distance between viewer and beheld.
Jochen Dehn inscribes his artistic practice in that which already exists. He makes use of things that he finds in situ, often things that are overlooked; or else he brings props with him, which are then subject to multiple transformations.
Jochen Dehn: „If we write about my artworks it might be best to do so under the heading: Stuff, art, tools. The status of the objects that I deal with varies a lot. Two austrich eggs can be used to cook a giant omelette, you can dry them, until they are completely empty if you are lucky enough that they don‘t start to smell, or you can use them to show the difference between figuration and abstraction.“
A tree, a hotplate, a drill or shaving foam, everything is used to conjure up the hocus-pocus. What we see becomes something else, or what was unseen appears before our eyes. A scientist, observing a phenomenon through a microscope, uses similar approaches and witnesses related appearances. In contrast to scientists Jochen Dehn does not make use of high quality tools, developed for a specific application but researches and subverts the possibilities of objects that surround us and examines their modalities of interaction and their usage.
To enhance their semantic content he uses techniques of collision, failure and misunderstanding. The objects, persons and contexts are by turns maltreated, glorified or put to good use. He defies our everyday perceptions and offers exercises to change the relation of our bodies to the environment. It‘s not about solutions, he tries to enlarge the space of the undetermined and irresolvable.
Jochen Dehn: „I tell stories, I perform and I show demonstrations. The objects and contents that I use in my performances, often share the qualities of a conversation piece1. If they don‘t do so already I try to bestow it upon them by means of a performance. Obstacles are essential for my work. They force me to collide, skip, jump and dodge. They lead to falls, failures and stops and thus to instants of realisation: moments in which place, gesture, form and concept become tangible.“
(translated by the artist)
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1 In the 80ies and 90ties of the 20th century an interior design fashion spread in american households. People placed something in their entrance hall or in any first room an invited person would enter. Value and beauty were no decisive criteria for these objects, they were supposed to be or look as if they were out of place, annoying, ugly or simply without taste. These visual obstacles were supposed to trigger conversation. They were the cause and content of a dialogue that would determine if the invited stayed or left and they permitted the host to chose the way of his reception. They were called conversation pieces.
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P E R F O R M A N C E S
Fünf oder sechs einfache Sachen / Five easy pieces
Sat. 9 February 2013, 4–8.30pm
Odd Lot 28,
Boulevard de la Chapelle
Das Nest des Rosttöpfers / Nest of furnarius rufus
Dinosaurierei gefüllt mit Ginsengwurzeln und überwachsen von schwarzen Pilzen / Dinosaur egg fill with ginseng roots and overgrown by black mushroom
A6/N104
Die ersten fünf Performances handeln von Skulptur, von Eigentum und von Werten und davon, wie man es schafft, dass etwas bei einem bleibt und dass man das will. Es sind fünf, in Anlehnung an »Five easy pieces« von Bob Rafelson aus dem Jahr 1970. Das Wort Skulptur kommt von dem lateinischen Wort sculpere, was soviel wie schnitzen, stechen, kleine Brocken Stein abtragen oder meißeln bedeutet, manchmal wird dieser Vorgang auch als bilden übersetzt. Im späteren Gebrauch bezeichnet Skulptur auch andere Handlungen als Schnitzen und Meißeln und wird nicht ausschliesslich mit Stein und Holz in Verbindung gebracht. Ich betrachte Skulptur mit den gleichen Vorurteilen, wie alle anderen, als einen edlen, körperlichen und spektakulären Vorgang oder als sein Ergebnis. Wert ist die »einer Sache innewohnende Qualität, aufgrund deren sie in einem gewissen Maße begehrenswert ist und sich verkaufen, vermarkten lässt« (Quelle: Duden), aber auch die Bedeutung, die jemandem, einer Sache zukommt (ebenda). Ich handele mit fünf Objekten: einem Loch, einem Vogelnest, ein Stück Asphalt, einer Skulptur von Mark Geffriaud und einer entstellten Autobahnskulptur.
The first five demonstrations consider sculpture and sculpture’s value and worth. The title, »Five Easy Pieces«, is borrowed from the Bob Rafelson film released in 1970. The etymology of the term sculpture comes from the Latin word »sculpere« which means »to carve« or to »chisel away pieces of stone«. Practice ensured that this etymologically specific term was extended to include materials besides stone and methods other than »carving« or »chiselling«. I address this artistic technique with the same preconceptions as those conveyed by the collective unconscious: sculpture as a physical, noble and spectacular practice. Value is »the worth of an object that can be traded and sold, in particular its price in money«, but it’s also the »the quality that meets the conditions required for it to be worthwhile«. These two senses of value must be taken into account when speculating about the value of a sculpture, or an object that was or will become a sculpture. I act with five objects; a hole dug out in the Lot; a bird’s nest; a lump of asphalt; a step by Mark Geffriaud and a defaced public sculpture.
14 February–11 April 2013
Schule für Unsichtbarkeit / School for invisibilIty
Wir erfinden Möglichkeiten, die helfen, diffuser zu werden, sich aufzulösen ohne zu verschwinden. Wir arbeiten mit Unfällen, Scheitern und Missverständnissen. Wir machen abstrakte Konzepte körperlich erfahrbar. Die Schule für Unsichtbarkeit gibt es seit 2005 in unterschiedlichen Konstellationen. Sie wurde von Frédéric Danos, Jochen Dehn, Volko Kamenski und Mateusz Kula gegründet.
This project seeks to discover the possibilities of becoming less concrete, more diffuse, and of dissolving oneself without disappearing. It exploits in particular the possibilities presented by collisions, failures and misunderstandings. The school of invisibility seeks to make abstract concepts tangible. The school for invisibility is a research group with variable dimensions that was created in 2005 with Frédéric Danos, Jochen Dehn, Volko Kamenski and Mateusz Kula.
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Das vielleicht offensichtlichste dieser Konzepte ist Fusion.
One of these concepts and probably the most evident is fusion.
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Thu. 14 February 2013, 8pm
Flocks
zeigt wie verlieben funktioniert. Diese Peformance zeigt, wozu es gut ist flüssig zu werden, wie man Teil eines Schwarmes wird, wie man sich verhalten muss, sobald man drin ist und wodurch man unsichtbar wird.. In Anlehnung an H. Houdini und E. Weisz. Flocks shows the mechanisms of falling in love.
This performance shows what becoming liquid is good for, how to dive into a flock or swarm, how to behave once you’re in and how to become invisible in it. Under the eyes of Harry Houdini and Erich Weiss.
Thu. 21 February 2013, 8pm
Tiertechnologien, Seifenfilme und Wunder / Animal technologies, soap films and wonders
Man kann warten bis etwas zusammenfällt oder aufgeht, aber eigentlich ist nichts zu. Ich dachte immer, es gäbe einen Zeitpunkt, ab dem ein Ballon seine Luft verliert. Er verliert sie ab dem Moment, wo er aufgeblasen wird. Küken atmen im Ei, und sie atmen mehr als die kleine Luftblase, die zu der Wölbung in hartgekochten Eiern führt.
Theoretical foundations and demonstrations for becoming invisible Camouflage, play dead, gate crashing, environment and the nature of an instant. Even if you don't wait until something falls down or moves or is opened, nothing is really closed. I always thought that balloons have a moment when they start loosing air, but they do so from the moment that you blow them up on. Like eggs: chicken breathe inside their egg. And they breath more then the bubble of air that creates the small depression in your hard boiled eggs.
Thu. 28 February 2013, 8pm
Flatland
Über Grösse, Dimension und Perspektive.
On size, dimension and perspective.
Thu. 07 March 2013, 8pm
Ein allseits umschlossener Garten
Von der Form her ist diese vielleicht meine klassischste Performance, sie ist gleichzeitig ziehmlich albern. Ich zeige die sehr komplexe Symbiose zwischen Feigen und den sie bestäubenden Feigenwespen, die den grössten Teil ihres Lebens im inneren der Früchte verbringen. (Ich folge der Beschreibung von Richard Dawkins.) Um das zeigen zu können, ersetze ich die Feige durch einen grossen Kürbis und ein Akkuschrauber ersetzt die eierlegende Feigenwespe. Und so fort. Genauso, wie mit einer klassischen Performance hat dieser Vortrag Ähnlichkeit mit einem Puppentheaterstück.
Formally this is probably my most classic performance, it's rather silly as well. It demonstrates the quite complex symbiosis of figs and their pollinating insects, the fig wasps, that spent most of their life inside the fruit. (I follow the descriptions of Richard Dawkins.) To be able to show this in reasonable size, I replace the fig by a pumpkin and the pollinating fig wasp by an electric screwdriver. As well as to classical performance, this demonstration ressembles to a piece of puppet theatre.
Thu. 14 March 2013, 8pm
Entdeckungen und Illusion / Inventions and Illusions
Es geht um Zauberei und um Erfindungen. Ich glaube man muss einen Zaubertrick ausführen können, um zu verstehen, wie Zauberer Dinge ansehen. Ein Gummiband, eine Coladose oder eine Schiene lösen sich in ihre Eigenschaften auf.
You'll know how to perform a couple of magic tricks and hopefully you will adopt or understand a way of looking at objects that allows magicians to invent their tricks.
Thu. 21 March 2013, 8pm
Der Unterschied zwischen einer Reise und einer Krankheit / Journeys and Illnesses
Ich wollte von den fünfziger Jahren reden und über Zeiten, wo sich etliches geändert hat, ich bekam Angst und brauchte einen Halt. Deswegen geht es heute um Halt, um Gleichgewicht, Grenzen und um Gesellschaft.
I wanted to talk about the 1950ies, about historic periods considered as moments of change, but than i was afraid and looked for support. So tonight is about support, about balance, limits and about company.
Thu. 28 March 2013, 8pm
How to Not Wake You up when I Really Don't Want You to Sleep
Das Prinzip dieses Vortrages ist einfach: Ich zeige, wie man elegant in einen Würfel hinein und wieder herauskommt. Dazwischen gibt eine relativ komplexe Einführung in das Wesen von Membranen und von Öffnungen.
The principle of this lecture is quite simple. I show an elegant way how to end up in a cube and how to get out of it. In the meantime it offers a quite complex introduction to the nature of membranes and openings.
Sat. 06 April 2013, 4pm
Just Because You Saw Something Move, Doesn't Mean Something Has Changed
Training zu Sichtbarkeit und Wahrnehmung.
Excercises on visibility and perspective.
Thu. 11 April 2013, 8pm
Abstrakte Objekte und das Schiff von Theseus / Abstract objects and the ship of Theseus
Geschichten und Demonstrationen zum Auf- und Abtauchen, über Erfahrungen, die man nicht erlebt hat und über das, was wir trotzdem Identität nennen. In Zusammenarbeit mit und leider wahrscheinlich in Abwesenheit von Francesco Pedraglio.
Stories and experimentations concerning apparition and disappearance, memories you never experienced, and the thing we call identity nevertheless. In collaboration with and unfortunately most likely in the abscence of Francesco Pedraglio.
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Texte + Übersetzungen von Jochen Dehn
Texts and translations by Jochen Dehn.
